„Ich fahre zur EM, um eine Medaille zu gewinnen“

Ringen: Jello Krahmer aus Schorndorf startet für Deutschland bei der EM / Im ZVW-Interview spricht er über den ASV, seine Olympia-Teilnahme und die EM-Chancen

Für Jello Krahmer war der Start ins Jahr 2025 sehr erfolgreich: Der Ringer aus Schorndorf durfte Ende Januar mit seinem Heimatverein ASV Schorndorf die deutsche Meisterschaft feiern. Nur knapp zweieinhalb Monate später steht der 29-Jährige erneut bei einem Highlight auf der Matte: Seit dem 7. April findet in Bratislava (Slowakei) die Europameisterschaft statt. Am 11. April steigt der gebürtige Stuttgarter ins Turnier ein. Das Ziel: eine Medaille. Im Interview mit unserem Redaktionsmitglied Simeon Kramer spricht der Ringer über die Meisterschaft mit dem ASV, die anstehende EM und seine harte Vorbereitung auf das große Turnier. Außerdem blickt Krahmer selbstkritisch auf seine Olympia-Teilnahme in Paris zurück – und erklärt, welche Lehren er aus dem Turnier gezogen hat.

Zuallererst: Glückwunsch zur Meisterschaft im Januar. Das muss ein besonderer Moment für Sie gewesen sein.

Eine Mannschafts-Meisterschaft ist immer etwas Schönes und Aufregendes. Wir haben die letzten Jahre immer sehr nah an der Spitze mitgerungen, aber es hat nie sein sollen. Jetzt haben wir aber den Titel und das war eine sehr erlösende Sache.

 

Warum hat es in diesem Jahr mit dem Titel für den ASV Schorndorf geklappt?

Zum einen sind wir als gesamtes Team stärker geworden. Zum anderen war auch der Teamspirit ein wichtiger Aspekt. Jeder war für jeden da. Es war eine extrem coole Stimmung im Team, es war eine Aufbruchsstimmung zu spüren. Wenn es bei einem im Kampf nicht gut gelaufen ist, haben wir versucht, das als Team aufzufangen.

 

Sie sagen, der ASV sei stärker gewesen als in den Jahren zuvor. Lag das an den Neuzugängen?

Als Verein ist es wichtig, auf seine Sportler zurückgreifen zu können. Wir hatten auch in den Jahren zuvor auf dem Papier einen starken Kader. Aber es bringt dir nichts, wenn die Trainer der Nationalverbände nicht mitmachen und ihre Athleten nicht freigeben. In der Vergangenheit haben die Trainer ihren Athleten oft gesagt, dass die internationalen Turniere wichtiger sind. Dadurch hatten wir zwar einen guten Kader, die Athleten waren aber oft nicht da.

 

Wie muss man das verstehen?

Die Trainer der Verbände haben einen großen Einfluss. Wir ringen in einer deutschen Liga, was interessiert es einen Trainer in einem x-beliebigen Nationalverband, was in der deutschen Liga passiert? Die Trainer werden dafür bezahlt, wie erfolgreich ihre Sportler bei Europa- oder Weltmeisterschaften sind – und nicht in der Bundesliga. Da gibt es einfach Interessenskonflikte. Der ASV hat sich schlussendlich von den Athleten getrennt, die nicht voll fokussiert und konzentriert auf die Meisterschaft war. Daher waren wir in diesem Jahr so stark.

 

Als Meister kann es nur ein Ziel geben: die Titelverteidigung. Oder?

Wir haben da ehrlich gesagt noch gar nicht drüber gesprochen. Jetzt steht erstmal die Nationalmannschaft im absoluten Fokus. Aber klar, der Anspruch als amtierender Meister muss die Titelverteidigung sein. Wir haben uns auch nochmal mit zwei jungen deutschen Athleten verstärkt (Deni Nakaev und Aaron Bellscheidt, Anm. d. Red.). Dementsprechend stehen die Chancen gut, dass wir den Titel verteidigen.

 

Nach der Saison 1974/75 durfte der ASV in diesem Jahr die zweite Meisterschaft feiern – ein Meilenstein für den Verein, oder?

Wir waren ja die letzten Jahre auch immer an der Spitze dran und galten als Titelkandidat. Letztes Jahr sind wir leider unglücklich im Viertelfinale ausgeschieden. Eigentlich war sich jeder in Ringer-Deutschland bewusst, dass wir die Nummer zwei waren. Wir hatten halt Lospech und haben direkt Burghausen als Los bekommen. Ich persönlich sehe uns daher als den heimlichen Vizemeister des letzten Jahres. Aber um auf Ihre Frage zurückzukommen: Ja, wir haben uns kontinuierlich als Verein weiterentwickelt und waren auch in diesem Jahr schnell Playoff-Kandidat.

 

Was bedeutet „weiterentwickelt“?

Das Team hinter dem Team ist bei uns sehr wichtig. Wir haben uns weiter professionalisiert, haben etwa immer unseren Physiotherapeuten Gregor Blankenhagen und Arzt Kai Täubel dabei. Und Nihat Sevsay organisiert das Buffet rund um die Spiele. Die Prozesse sind einfach professioneller geworden, auch der Vereinsausschuss und die Vereinsbasis sind mit uns mitgewachsen.

 

Ringen ist ein Teamsport, aber am Ende kämpft jeder für sich. Was hat den Teamspirit in dieser Saison so einzigartig gemacht?

Es fängt beim Aufwärmen an. Mohsen Siyar (ASV-Ringer für 130 kg Freistil, Anm. d. Red.) hat mich beim Aufwärmen immer sehr unterstützt, mir immer gut zugesprochen. Er ist zu Auswärtskämpfen mitgefahren, um für mich ein guter Aufwärmpartner zu sein. Die Jungs rufen während des Kampfes rein und pushen einen, da will man dann auch abliefern. Und man will eine Führungsrolle im Team übernehmen und mit Leistung vorangehen. Ich habe immer den zweiten Einzelkampf und das ist schon entscheidend für die Stimmung des restlichen Wettkampfes.

 

Stichwort Führungsrolle: Sehen Sie sich als Ur-Schorndorfer beim ASV in einer solchen Rolle?

Es fällt mir schwer, da ein Urteil zu fällen. Das müssen andere bewerten. Ich versuche immer, mich absolut professionell auf jeden Kampf vorzubereiten, so dass ich immer das Maximum abrufen kann. Mit Blick darauf, wie ich an die Kämpfe rangehe und wie gut ich mich vorbereite, denke ich aber schon, dass ich beim ASV eine gewisse Vorbildrolle einnehme.

 

Sind Sie dann eher der stille oder der laute Leader?

Natürlich spreche ich auch mal vor dem gesamten Team. Gerade als wir gegen Mainz verloren haben (Viertelfinal-Hinkampf, Anm. d. Red.), habe ich mich mit einer Ansprache ans Team in der Kabine gewandt. Ich war absolut nicht zufrieden mit der Einstellung mancher Athleten im Kampf. Es hat dann auf der Matte gefruchtet – aber ob es an meiner Ansage lag oder nicht, das weiß ich nicht (lacht).

 

Kommen wir auf Sie persönlich zu sprechen: Ist die Meisterschaft Ihr bislang größter Erfolg als Ringer?

Für meine Mannschafts-Karriere und meine Zeit mit dem ASV ist die Meisterschaft sicher das Highlight. Aber für Sportler wie mich, die von Tag eins an für internationale Turniere trainieren, liegt der Fokus auf der Europa- und Weltmeisterschaft sowie den Olympischen Spielen. Dafür werde ich ja auch als Sportsoldat von der Sportfördergruppe der Bundeswehr unterstützt. Mein Traum ist es, 2032 bei den Olympischen Spielen in Brisbane aufzuhören. Bis dahin will ich durchgängig beim ASV Schorndorf ringen und viele Meistertitel sammeln.

 

Das heißt: Sie unterscheiden klar zwischen Ihrer individuellen und ihrer Mannschafts-Karriere?

In gewisser Weise schon, aber da geht vieles Hand in Hand. Je besser du in der Bundesliga bist, desto erfolgreicher bist du international – und andersrum. Je erfolgreicher du international bist, desto mehr internationale Ringer ziehst du auch für den ASV Schorndorf an. Für mich ist der ASV einer der coolsten Vereine in Deutschland. Wir haben viele Ringer aus dem Ausland, die uns anschreiben und bei uns ringen wollen. Die sehen unser Social Media, die wollen Teil von unserem Team sein. Dazu kommt: Die Bundesliga in Deutschland ist extrem cool und einzigartig, das bekommen auch ausländische Sportler mit.

 

Am 7. April hat die Europameisterschaft in der Slowakei begonnen und Sie stehen am 11. April das erste Mal auf der Matte. Fühlen Sie sich für das Turnier gewappnet?

Ich habe ein gutes Gefühl. Ich habe mich aber noch gar nicht mit Chancen oder so beschäftigt. Das ist mein erster internationaler Wettkampf seit den Olympischen Spielen. Ich kann die EM nach der Olympia-Teilnahme richtig genießen und die positiven Aspekte viel mehr mitnehmen. Es ist ein tolles Privileg, für Deutschland ringen zu können.

 

Das klingt, als hätten Sie das auch schon anders erlebt?

Damals, als ich mich für die Olympischen Spiele 2024 qualifizieren wollte, war der Druck riesig. Es war mein Lebensziel, in Paris dabei zu sein. Ich wäre zutiefst enttäuscht gewesen, wenn ich das nicht geschafft hätte. Dementsprechend habe ich mir selbst großen Druck gemacht. Ich habe die Qualifikation zwar geschafft, bin aber angespannter und verkrampfter in das Turnier gegangen als sonst. Das ist vor der EM jetzt anders, ich kann viel mehr die schönen Aspekte mitnehmen.

 

Was haben Sie aus der Olympia-Teilnahme gelernt?

Nach dem frühen Olympia-Aus haben wir uns intensiv ausgetauscht und waren der Meinung, dass ich physisch noch stärker werden muss, um international mit den Besten der Welt mithalten zu können. Dort sind noch ein bisschen kräftigere Kerlchen unterwegs, als ich es bin. Dafür brauche ich noch mehr Muskelmasse und mehr Kraft. Doch auch schon vor dieser Erkenntnis habe ich sehr diszipliniert trainiert. Ich achte auf meine Ernährung, meinen Schlaf und habe eine sehr hohe Trainingsintensität. Doch dazu kommen jetzt noch neue Trainingsmethoden, die ich davor nicht gekannt habe. Das bringt mich voran.

 

Wie muss man sich Ihre Vorbereitung auf die EM vorstellen?

Ich trainiere zweimal am Tag, am Wochenende habe ich meistens frei. Vor der EM hatten wir beispielsweise eine Leistungsdiagnostik in Leipzig, wo wir intensiv untersucht wurden. Dann hatten wir im Februar ein Konditions-Trainingslager in der Türkei und haben dort an unseren Grundlagen gearbeitet. Leider bin ich am letzten Tag krank geworden, weshalb ich das anschließende Test-Turnier in Albanien verpasst habe. Seitdem habe ich aber sehr intensiv trainiert.

 

Wie sieht das „intensive Training“ genau aus?

Ich habe beispielsweise für eine Woche einen Trainingspartner aus Finnland eingeladen, der mit mir trainiert hat. Dann hatte ich ein Trainingslager mit der Nationalmannschaft in Heidelberg. Dort haben wir zweimal am Tag Mattentraining gemacht, also klassisches Ringer-Training. Sonst mache ich einmal am Tag physisches Training, also Kraft oder Ausdauer, und einmal Mattentraining. Die letzten Tage vor der Europameisterschaft trainiere ich dann zuhause beim ASV Schorndorf.

 

Haben Sie zuhause dann einen Personal Trainer oder wie machen Sie das?

Ich habe einen englischen Athletikcoach, der in Finnland lebt. Der gibt mir die Kraft- und Kardio-Trainingspläne vor. Er bespricht sich auch mit dem ASV und dem Nationaltrainer. Dieses Dreiergespann verfügt dann über mich und entscheidet, wie ich trainiere (lacht). Das Krafttraining mache ich in Eigenregie und filme viele meiner Übungen ab. Die Videos schicke ich dann meinem Athletikcoach und der gibt mir dann Feedback.

 

Wird Ihnen der Athletikcoach eigentlich gestellt oder müssen Sie den Trainer selbst zahlen?

Ich muss mir den Trainer selbst finanzieren. Wir telefonieren fast täglich, er war auch schon hier und ich bei ihm in Finnland. Wir arbeiten sehr gut zusammen und haben beide denselben unreifen Humor, er kennt mich.

 

Jetzt aber mal Hand aufs Herz: Wie groß ist die Chance, in Bratislava eine Medaille zu gewinnen?

Ich fahre natürlich zur EM, um eine Medaille zu gewinnen. Und grundsätzlich ist sowas auch immer absolut möglich. Ich habe mit der Olympia-Qualifikation bewiesen, dass ich gute Athleten besiegen kann. Aber: Auch das Losglück spielt eine große Rolle. Wenn man ein unglückliches Los bekommt, kann es sein, dass man gleich im ersten Kampf gegen einen sehr starken Athleten kämpft. Das ist ein hartes, gnadenloses Business, das sehr undankbar ist. Dafür sind aber die Momente, in denen man auf dem Podium steht, umso süßer.

 

Unabhängig von einer möglichen Medaille: Welche Ziele setzen Sie sich für die EM?

Ich will die beste Fitness und die beste mentale Stärke auf die Matte bringen. Ich vertraue da auch auf das Glück des Tüchtigen. Ich hoffe auf einen starken Wettkampf, habe hart trainiert und mir dafür extra einen neuen Athletikcoach geholt.

 

Wie stark schätzen Sie die Konkurrenz bei der EM ein?

Die Konkurrenten sind bekannte Personen. Europa ist der stärkste Kontinent, was Ringen angeht. Auf der WM hat man noch die Kubaner, Iraner und Chinesen, aber die Leistungsdichte ist in Europa die größte. Ich kenne eigentlich alle Gegner, die auf mich zukommen könnten. Es sind aber viele hungrige Athleten dabei, die es nicht geschafft haben, sich für Olympia zu qualifizieren. Die werden sehr motiviert sein, sich jetzt zu beweisen. Daher wird es ein schweres Turnier.

Erschienen in der ZVW am, Donnerstag, 10. April 2025

 

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