ASV Schorndorf: DM-Finale als Saisonziel 2022/23
Autor:Lena Staiger 31. Mai 2022
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Der ASV Schorndorf ist wieder da – zurück an der Spitze der Ringer-Bundesliga! Nachdem der Verein vor rund zehn Jahren vorübergehend in der Bedeutungslosigkeit des Ringkampfsports verschwunden war, hat sich der ASV in der vergangenen Saison bis ins Halbfinale um die Deutsche Mannschaftsmeisterschaft gekämpft. Die Euphorie ist bei den Fans des Deutschen Meisters von 1974/75 zurückgekehrt. Wir haben gemeinsam mit dem ersten Vorsitzenden Sedat Sevsay die Vergangenheit und Gegenwart des Vereins aufbereitet und er hat uns verraten, dass der ASV Schorndorf zum 115-jährigen Vereinsjubiläum in der kommenden Saison Großes vorhat.
Spektakulär! Publikumsliebling Iuri Lomadze aus Georgien (rot) beherrscht seinen Gegner fast nach Belieben
Sedat, hol uns mal in der Vergangenheit ab und lass uns einen gemeinsamen Blick auf die Geschichte des ASV Schorndorf werfen, bevor wir auf den ASV der 2020er-Jahre eingehen…
Sedat Sevsay: Der ASV ist der Traditionsverein der Schwerathletik schlechthin im Rems-Murr-Kreis. Als die Deutsche Ringer-Bundesliga 1964 gegründet wurde, waren wir als Gründungsmitglied dabei und bis in die späten 70er regelmäßig in den Playoffs zu Gast. 1974/75 erfolgte der erste und bisher einzige Titelgewinn. 1958 und 1974 waren wir jeweils Vizemeister. 1981 hat sich der Verein aus der Bundesliga zurückgezogen. Ich selbst bin als Ringer zum ASV gestoßen, als wir Ende der 90er wieder aufgestiegen sind. Nach zwei Jahren Bundesliga ist uns dann der Hauptsponsor abgesprungen und wir mussten uns ein zweites Mal aus der Bundesliga zurückziehen. Wir haben es aber jedes Mal aus eigener Kraft geschafft, wieder hochzukommen.
2011 kam dann der „Tiefpunkt“ mit dem Abstieg in die Landesklasse…
Sedat Sevsay: Ja, damals gab es einen großen Umbruch. Nachdem ich meine sportliche Karriere beendet hatte, wurde ich in dieser Zeit erst Mitglied im erweiterten Vorstand, später Vorstand und Trainer.
Diese Tage liegen weit hinter euch und inzwischen seid ihr wieder richtig erfolgreich. Was ist das Geheimrezept?
Sedat Sevsay: Ich denke, der sportliche Erfolg steht und fällt mit den Menschen, die dahinterstehen. Da ich selbst aus dem Leistungssport komme, habe ich dazu eine andere Einstellung als Personen, für die eher andere Dinge im Vordergrund stehen. Und das ist auch völlig in Ordnung. Am Ende der Saison 2018/19 sind wir wieder in die Bundesliga aufgestiegen und haben im ersten Jahr gleich den dritten Platz in unserer Gruppe erreicht. 2020/21 waren wir dann richtig gut aufgestellt und hatten unter anderem den dreifachen Weltmeister Frank Stäbler in unseren Reihen. Aber die Saison wurde ja dann leider abgebrochen…
Sedat Sevsay (links) und sein Stiefsohn Jello Krahmer, das sportliche Aushängeschild des ASV Schorndorf
Lief die vergangene Saison mit dem Einzug in das Halbfinale und dem knapp verpassten Finale nach Plan?
Sedat Sevsay: Auf jeden Fall! Natürlich war es schade, dass wir das Finale am Ende so knapp wegen eines Punktes nicht erreicht haben, aber das Halbfinale war unser ehrgeiziges Ziel und das haben wir letztendlich auch erreicht. Wir hatten wirklich eine tolle Saison mit einem sensationellen Abschluss und unser Headcoach Volker Hirt hat einen fantastischen Job gemacht. Nach der Vier-Punkte-Niederlage im Halbfinal-Hinkampf beim ASV Mainz hatte uns schon keiner mehr auf dem Schirm. Wir haben dann aber einen mega spannenden Rückkampf zuhause abgeliefert, bei dem uns sehr viele Menschen vor Ort und im Stream angefeuert haben. Als wir zur Halbzeit die ersten fünf Kämpfe gewonnen hatten, sind direkt über 100 Kartenvorbestellungen für das Finale hereingekommen, weil alle Angst hatten, keine Karten mehr zu bekommen (lacht).
In der Halle war bei euren Kämpfen auch immer eine super Stimmung…
Sedat Sevsay: Das stimmt. Es war mir nach der Coronapause auch sehr wichtig, dass wir unsere Fans wieder richtig mitnehmen konnten. Was mich besonders gefreut hat: Es waren sehr viele neue Zuschauer dabei, die alle höchst begeistert aus der Halle gegangen sind. Das war mir sogar wichtiger, als dann im Finale gegen Burghausen zu ringen. Ich glaube, das wäre auch noch ein Jahr zu früh für uns gekommen. Burghausen ist immer noch das Maß aller Dinge im deutschen Ringen, das hat auch unser Halbfinal-Gegner Mainz im Finale zu spüren bekommen.
Viele Vereine hatten durch die Corona-Pandemie Probleme, sich finanziell über Wasser zu halten. Wie sah das bei euch aus?
Sedat Sevsay: Wir sind erstaunlicherweise recht gut weggekommen, unter anderem weil wir gelernt haben, schwäbisch zu haushalten. Wir machen sehr viel in Eigenregie und haben kaum externe Dienstleister. Den Fokus haben wir in der letzten Saison sehr auf den Sport gelegt und kaum Geld in irgendein Rahmenprogramm gesteckt, da wir wussten, dass es finanziell schwierig werden würde. Wir wollten trotzdem sportlich gut dastehen, und das hat soweit ja auch funktioniert. Trotzdem haben wir unsere Reserven komplett aufgebraucht und fangen für die neue Saison sozusagen bei null an. Wenn wir keine Zuschauerbeschränkungen gehabt hätten, wäre es für uns überhaupt nicht problematisch geworden. So sind wir nun eben mit einer roten Null aus der Saison gegangen, worüber wir uns aber auf keinen Fall beschweren wollen.
Die Wechselfrist für die aktuelle Saison der Bundesliga endet nach unserem Redaktionsschluss zum 31. Mai. Ihr habt schon im Vorfeld einige große Namen publiziert. Wer geht alles für euch nächste Saison auf die Matte?
Sedat Sevsay: Unser Ziel ist es, eine gute und ausgeglichene Mannschaft aufzustellen und vor allem die deutsche Achse zu stärken. Durch das komplexe 28-Punkte-System (Erklärung siehe Kasten rechts unten) nutzt dir alles Geld der Welt nichts. Wir konnten die Mannschaft von Jahr zu Jahr optimieren und sind auch für die kommende Saison sehr gut aufgestellt. Mit Horst Lehr haben wir zum Beispiel den mit Abstand besten deutschen Freistilringer, der dieses Jahr unter anderem den EM-Titel in der U23 geholt hat. Unser wichtigstes Aushängeschild ist unser Eigengewächs Jello Krahmer, auf den vieles ausgerichtet ist. Auch Felix Baldauf ist als Deutscher, der für Norwegen auf der EM startet, ein weiteres wertvolles Puzzlestück der Mannschaft. Der deutsche Spitzenringer Ertugrul Agca war die komplette letzte Saison verletzt und ist dadurch wie ein Neuzugang für uns. Mehr kann und will ich aber vor dem Ende der Transferfrist gar nicht verraten, wir wollen der Konkurrenz ja keine Vorteile verschaffen (lacht).
So lieben ihn die Fans: Jello Krahmer in Siegerpose
Was nehmt ihr euch für die kommende Saison vor?
Sedat Sevsay: Das Ziel ist klar: wir wollen voll angreifen! Wenn die Playoffs Anfang 2023 beginnen, feiern wir 115-jähriges Vereinsjubiläum und wir wollen noch ein Stückchen weiterkommen als letzte Saison. Da hat man noch gemerkt, dass uns etwas die Playoff-Erfahrung fehlt. In der heutigen Zeit weiß der Gegner oft schon recht genau, welche Ringer man auf die Matte bringen wird, da viele Athleten Bilder oder Videos von ihrer Anreise bzw. ihrem Flugticket machen und in den sozialen Medien veröffentlichen. Das ist etwas, was wir unterbinden müssen. Bei unserem Halbfinale gegen Mainz wussten wir beispielsweise bis zur Waage direkt vor dem Kampf nicht, welche ihrer Ringer auch auf der Matte stehen werden, da die Mainzer bereits am Vorabend mit 20 Mann angereist sind. Das sind die Tricks, die die erfahrenen Playoff-Mannschaften machen, da können wir noch etwas lernen. Lange Rede, kurzer Sinn. Unser Ziel in der kommenden Saison ist das Erreichen des Finales!
Das 28-Punkte-System der Bundesliga
Um die Nachwuchsarbeit der Bundesligisten zu forcieren, hat der Deutsche Ringer-Bund 2018 das Punktesystem eingeführt. Allen Bundesliga-Athleten wird anhand ihrer sportlichen Erfolge auf Basis der untenstehenden Tabelle ein Punktewert zugewiesen, den sie für die komplette Saison inne haben. Sind sie einmal einer Punktekategorie zugeordnet, behalten sie diese im Dienste dieses Vereins bei, selbst wenn sie zwischenzeitlich internationale Erfolge feiern. Pro Kampftag dürfen die eingesetzten zehn Ringer eines Teams in der Addition den Maximalwert von 28 Punkten nicht überschreiten.
Während Ringer, die aus dem eigenen Nachwuchs stammen, -2 Punkte zählen, „kosten“ deutsche Ringer, die von außerhalb zum Verein stoßen, 1 bis 4 Punkte. Am teuersten sind ausländische Ringer mit 5 bis 8 Punkten.
Kategorie (jeweils letzte 4 Jahre) | deutsch | ausländisch |
Medaille Olympia, WM und EM | 4 | 8 |
Medaille WM, EM Junioren + U23 | 3 | 7 |
Deutscher Meister | 3 | |
Deutscher Meister Junioren, Silber/Bronze DM Männer | 2 | |
Bundeskaderathlet Stand 31.12. des Vorjahres | 2 | |
Eigengewächs (bis 18 mind. 3 Jahre im Verein) | -2 | |
Alle anderen | 1 | 5 |
Fotos: Günter Schmid
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